Montag, 31. August 2009
Für einen Abend wieder 17 sein
Seit Jaaaaahren freute ich mich auf diesen Tag: Ein Klassentreffen 11 Jahre nach unserem Abitur! Ja, elf Jahre. Meine Mutter behauptet immer, die '78geborenen seien ein verschlafener Jahrgang - sie könnte recht behalten, denn das Zehnjährige haben wir irgendwie nicht hinbekommen
Aber das Elfjährige - ist ja auch eine schöne Zahl.
Ich habe die Schule gehasst. Jawohl, GEHASST! Die Willkür der Lehrer, die ihren Frust in Form schlechter Noten an Schülern auslassen. Die Gleichgültigkeit, mit denen sie ihren Unterricht gestalten. Das sichtliche Vergnügen eines Sadisten, der sich am Anblick eines verzweifelten Schülers weidet, der ausgerechnet nicht für den unangekündigten Bio-Test gelernt hat, weil er sich mal Latein Vokabeln und Grammatik, Geschichtszahlen und Physikformeln zu Gemüte geführt hat und außerdem mit Liebeskummer und all den anderen Problemchen eines Spätpubertierenden zu kämpfen hat.
Da konnten mich alldie lieben Sprüche von wegen Zusammenhalt der Schüler, Freundschaften, Wiedersehen und so weiter nicht vom Gegenteil überzeugen. Oder "Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir!" Oh ja, ich habe gelernt, dass die Schule eine Art Vorhölle für das danach beginnende wunderschöne Leben ist. Oder ein Fegefeuer, nachdem man, von grundauf gereinigt, endlich den Sinn des Lebens suchen gehen kann.
Nein, an der Schule haben mir immernoch die Ferien am besten gefallen, und ich habe sie mir in den letzten elf Jahren nicht einen einzigen Tag zurückgewünscht, wie mir vorher so vielseits prophezeit wurde.
Und dann stand es an: Ein Abitreffen ganz im Sinne unserer Schulzeit. Seit der 10. Klasse etwa wurde die letzte Woche vor den Sommerferien gezeltet. Und da wir nun alle berufstätig sind, sollte ein Zeltlager von Freitag bis Sonntag auf einem der früher sooft bezogenen Zeltplätze stattfinden.
Nun ja - nun sind wir nicht mehr 20, und die ersten von uns schlagen sich neben Haarausfall und anderer Alterserscheinungen auch schon mit Rückenbeschwerden herum - daher war die Begeisterung nicht gerade groß, ein ganzes Wochenende ohne die heißgeliebte Dusche, die heimische Kaffeemaschine und vor allem das bequeme Bett zu verbringen, und so fanden sich die meisten (von ein paar wirklich zähen, hartgesottenen Ausnahmen abgesehen) am Samstag Nachmittag und Abend auf dem Sportplatz ein.
Ich war so aufgeregt! Freitag nach dem Büro habe ich (nicht gerade als Küchenfee bekannt!) schnell einen Kuchen zusammengerührt, am Samstag Morgen noch ein lecker klingendes Nudelsalatrezept in die Tat umgesetzt. Unter der Dusche wurde gründlichst das Gesichtspeeling benutzt und vor dem Make-Up nochmal die Anti-Falten-Augencreme aufgetragen - nicht, dass das akut etwas genutzt hätte, aber ich fühlte mich einfach sicherer
Und dann ging es los. Meine beste Freundin, die extra aus London eingeflogen war, bei ihren Eltern abgeholt - denn wir wollten beide nicht alleine aufkreuzen
Um 16 Uhr trafen wir endlich ein - die drei Zeltschläfer um das Feuer sitzend vorfindend. Puh, Gott sei Dank noch keine so große Runde! Mit Umarmungen begrüßten wir uns, und als ich auf die Frage "Wie geht's dir?" ein ehrlich gemeintes "Sehr gut!" erwiderte, hörte ich ein "Das sieht man!" als Antwort... Yeah!!
Die nächsten Gäste trafen ein. Die Schwangeren!! Eine im 5. Monat, aber so gertenschlank, dass ich es ihr wirklich überhaupt nicht ansah. Eine andere eine Woche über den Geburtstermin und die dritte zwei Monate vor der Niederkunft. Wahnsinn!
Die Drei bekamen dann die bequemen Sessel zugewiesen, B. und ich mussten auf die Bank ausweichen...
Irgendwann kamen wir auf das Thema "Boybands" zu sprechen, die wir einst so sehr vergöttert hatten. Als wir von den wiederauferstandenen New Kids on the Block, einem Back Street Boys Konzert und einem Robbie Williams-Entertainment erzählten, giggelten wir wie mit 14! Es klang wirklich 100% so wie damals - kaum zu glauben, dass C. und ich uns mit D. so dermaßen zerstritten hatten...
Es treffen immer mehr bekannte Gesichter ein. Einige derer, die ich sehr gerne wieder gesehen hätte, waren leider am Vorabend schon dagewesen und kamen am Samstag nicht mehr. Aber dennoch.
Mein schwuler Freund ist Arzt und hat vor zwei Jahren seinen Italiener geheiratet!
S. begrüßt jeden mit einer herzlichen Umarmung und einem Wangenkuss - sie ist tatsächlich Deutsch- und Ethiklehrerin geworden, fast dieselben Fächer wie unsere so ungeliebte Lehrerin, die S. fast jede Stunde zur Verzweiflung und fast zum Rausrennen gebracht hat!
M., der nun in München lebt, hat wie erwartet tatsächlich kein Haar mehr auf dem Kopf - der Ärmste war schon zum Abi von lichtem Haupthaar geplagt. Entrüstet beschwert er sich, dass der Gastwirtschaftsraum nicht abgeschlossen ist: "Früher war hier immer abgeschlossen, jetzt sind wir alt, man vertraut uns!!"
Später sitzen wir alle rund ums Lagerfeuer. Obwohl Ende August, ist es in dieser Nacht nur 8° kalt.
Da taucht eine gelockte Gestalt im gelben Mantel auf. Dreimal muss ich hingucken - tatsächlich, es ist A.! Nein, wie hat sich diese Rebellin, die die Schule noch mehr gehasst hat als ich, verändert! Brav und erwachsen sieht sie aus. Und dann entschuldigt sie sich mehrfach für folgende Berufswahl: Auch sie ist nun Lehrerin. Für Deutsch und Geografie - die, die mich auf der Abschlussfahrt in London so angeraunt hat, das sei ihr doch sch***egal, dass es hier schon um 3 Uhr nachts hell würde!! Wie mich sowas nur interessieren könne?!
Schließlich reicht S. eine "Selbstgedrehte" durch die Runde.
Es hat sich wirklich nichts verändert, denke ich, als ich einen Zug und dann noch einen nehme. Zwar hat der ein oder andere schon ein graues Haar zu verzeichnen, die Lachfalten um die Augen zeichnen sich hier und da deutlich ab, aber in den Köpfen sind wir alle noch dieselben. Irgendwie bin ich doch gerne mit ihnen zusammen in die Schule gegangen.
Donnerstag, 5. März 2009
Mein Freund, Herr Ephraim
Taxifahrer sind ziemlich abgedrehte Leute. Mich fuhr da schon der ehemalige Gynäkologe, der von der riesen Oberweite seiner Tochter berichtete, die er selbst zur Welt gebracht hat. Der Rechenkünstler, der eine Hypotheke auf sein Haus hat und dem die Marktfrau im Januar 2001 den doppelten Preis für Feldsalat abknöpfte. Oder der Hut tragende Gentleman, der mir die Tür aufhält.
Lustig fand ich die Frau, die mich, als ich ihr mein Ziel nannte, entgesitert anblickte, sich aber im nächsten Moment dafür entschuldigte, weil ich die erste Frau sei, die sie dorthin bringe; normalerweise arbeiten bei der Firma doch nur Männer?! Schnell sieht sie die Ironie der Lage ein, schließlich arbeitet auch sie in einer von Männern beherrschten Branche.
Radiosender hören sie auch komische, die Taxifahrer; Radio Regenbogen, was noch am ehesten zu ertragen ist, oder auch den Deutschlandfunk. Aber bei „Immerwieder Sonntags“ auf SWR 4 oder anderen, mir weniger geläufigen Schlagern, dreht es mir am frühen Morgen auch schonmal den Magen um. Klassik ist ganz schön - wenn diese nicht immer duch den knackenden Taxi Funk gestört würde „Theader“ - „Einen Wagen zum Novotel, Zimmer 517“ - „Theader“ - „Dialyse“ - und das in diesem nervigen badischen Singsang…
Auch gibt es mindestens zehn verschiedene Wege, die durch die Fächerstadt an mein Ziel führen. Manche davon sind natürlich teurer als andere, und so manch Schlauer Fuchs glaubt wohl, einen unerfahrenen Besucher im Wagen sitzen zu haben. Aber als ich letztens schlechtgelaunt einem Herrn klarmachte, dass - egal welche Ampel- und Straßenbahn-Argumente er mir auch bringen mochte - er damit den teuersten Weg gefahren ist, und ich für die andere Strecke nie mehr als 13 Euro selbst im Berufsverkehr zahlen muss, stellte er beschämt bei 13 Euro das Taxameter aus. Erwischt!
Und dann ist da noch Herr Ephraim. Viele der Gesichter sind mir mittlerweile geläufig, und auch mit ihm bin ich mittlerweile schon mehrere Male gefahren. Am Montag fiel es uns beiden dann auf, dass wir uns aneinander erinnerten, und ich ließ mich auf ein Gespräch ein, was ich bei den kurzen Fahrten zum Bahnhof normalerweise gern zu vermeiden versuche, da ich absolut kein Freund von Small Talk bin.
Herr Ephraim kommt aus Palästina - so sagt es der Schriftzug auf der kleinen Flagge aus Plastik, die an einer Kette am Armaturenbrett baumelt. Zuerst frage ich mich, warum er ein warmes Land verlassen hat, um hier im feucht-kalten Klima Taxi zu fahren. Schnell fällt es mir ein - auch ich ziehe Regen und Schnee dem Krieg vor, auch wenn ich noch nie welchen erleben musste. Ein Zitat aus dem Film „Leg dich nicht mit Zohan an“ fällt mir ein: „Wir kämpfen jetzt seit zweitausend Jahren, lange kann es nicht mehr dauern!“
Aber Herr Ephraim strahlt Lebensfreude aus. Seit zwanzig Jahren lebt er nun schon hier - aber seine drei Kinder kann er nicht mit seinem Taxi zur Schule fahren, die nehmen auch die Straßenbahn, obwohl die eine direkte Konkurrenz der Taxifahrer ist.
Eine Frau ruft auf seinem Handy mit Freisprecheinrichtung an, und ohne ihren Namen zu nennen, bittet sie ihn, sie morgen früh um zehn nach neun abzuholen. Als sie aufgelegt hat, erklärt Herr Ephraim ehrfürchitg:“Sie war Richterin am Bundesgerichtshof! Und ihre Tochter ist ebenfalls Juristin, sie arbeitet in Den Haag!“
Nachdem er mir mindestens dreimal eine gute Heimreise und einen schönen Abend gewünscht hat, freuen wir uns beide darauf, bald wieder miteinander zu fahren. Er ist halt ein kommunikativer, aber sehr höflicher und feundlicher Mensch, und das finde ich gut so.