Montag, 21. August 2006

Was ist Realität?


Die 80:20-Regel finde ich ein der besten Erfindungen unserer Zeit! (Mit 20% des Aufwands 80% der Hausarbeit erledigen – für die restlichen 20% würde entsprechend 80% Aufwand benötigt…) Der perfekten Hasufrau mag das vollkommen unrealistisch erscheinen – ich aber bin jung, berufstätig und voll darauf bedacht, mein Leben zu genießen, sei es in Form von Freizeitaktivitäten oder schlichtem Nichtstun. Deswegen spare ich mir die Zeit in den in meinen Augen unwichtigen Sachen wie regelmäßig gründlichst putzen, Bügeln, Fensterputzen etc. Ich achte lediglich darauf, dass ich nicht im Staub ersticke, mir keine bislang unentdeckten Krankheiten im Badezimmer zuziehe und immer eine ausreichende Menge an sauberen Klamotten vorrätig habe.

Aber wie lässt sich das auf das Seelenleben übertragen? Streben wir hier nicht auch nach Perfektionismus? In allen Frauenzeitschriften werden Tipps für ein erfülltes Seelenheil gegeben, die Anzahl der Ratgeberbücher, die man und/oder frau gelesen haben soll, ist schier unendlich, gern holt man sich Rat von den lieben, lebenserfahrenen Verwandten oder Freunden – und auch die sprichwörtliche Couch einer Therapeutin habe ich schon hinter mir. Aber entscheiden, was davon erstrebenswert, „perfekt“ für mich und was realistisch ist, muss ich selbst.

Aber wie soll ich in all dem Chaos noch den Überblick behalten, was die Realität fordert? Nicht nur, dass man sich gern mal im Heile-Welt oder gar unrealistisch brutal-gruasamen TV-Leben verliert. Oder sich den schönsten Liebesschnulzromanen mit Happy-End-Garantie hingibt. Oder sich von oben genannten Ratgebern den Verstand verdrehen lässt.
Nein, man greift leider auch auf ein unerschöpfliches Repertoire an eigenen Erfahrungen zurück. Grundsätzlich sollte dies ja eine gute Eigenschaft des Menschen sein, „Lernen durch Versuch und Irrtum“, nennt man es in der Verhaltensforschung glaube ich. Auch gut: „Lernen aus Erfahrung“, „Aus Erfahrurng wird man klug“, „Aus Fehlern lernen“ – solche und andere Floskeln weiß wohl jeder unendlich aufzuzählen.
Genau an dieser Stelle frage ich mich: Wie viele Fehler darf der Mensch sich auf dem Weg des Perfektwerdens erlauben? Und vor allem, wie schwerwiegend dürfen diese sein? Wer definiert, was ein schwerwiegender Fehler ist, was überhaupt ein Fehler oder was womöglich nur ein „Ausrutscher“ ist? Ist es die unterschiedliche Empfindung eines jeden Einzelnen, die wiederum auf dessen Erfahrung zurückzuführen ist?
Und schon kommen wir wieder auf die Erfahrungen zurück.
Wenn ich mich aus irgendwelchen Gründen schlecht fühle, versuche ich natürlich, die Situation zu klären. Was veranlasst die schlechten Gefühle? Warum bin ich überhaupt in die Situation geraten? Dann merke ich bald, dass ich eine Art Déjà-vu habe; ich mache gerade etwas durch, was ich schonmal in einer ähnlichen Situation erlebt habe, die ein negatives Ende genommen hat. Also bin ich jetzt wieder auf negatives Ende programmiert. Ich versuche, die jetzige Situation auf realistische Fakten zu analysieren. Aber welche sind diese?! Wer garantiert mir, dass ich es hier tatsächlich mit Fakten zu tun habe, und mir nicht nur etwas schönmale, mich selbst belüge, nur weil ich mir wünsche, dass es diesesmal ein gutes Ende für mich nehmen möge?
Daraus resultiert, dass ich überhaupt nicht mehr weiß, wie ich mich verhalten soll, was überhaupt „normales“ Verhalten ist, denn was ich bisher erlebt habe wird immer unrealistischer, und ich kann Realität nicht mehr von Einbildung unterscheiden. Projiziere ich erlebtes Verhalten auf andere? Interpretiere ich meine eigenen Ängste in jemanden hinein? Oder habe ich genau so viel Lebenserfahrung gesammelt, um die Situation und das Verhalten genau richtig einzuschätzen und darauf regieren zu können?
Welche Rolle spielt dabei überhaupt die jeweilige Charaktereigenschaft? Gerade diese machen unsere Welt doch vielfältig und abwechslungsreich. Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass jeder Mensch gleich ist.
Und doch wird erwartet, dass sich jeder „gleich“ perfekt verhält. (Kulturelle Unterschiede spreche ich bewusst nicht an, denn das würde uns noch viel tiefer in die Sache hineinführen.)

Ich glaube, es ist an der Zeit, wiedermal eine Auszeit zu nehmen. Ein paar Tage aus dem alltäglichen Leben zurückziehen, der Welt ihren Lauf lassen – und dabei versuchen, einen objektiven Blick auf die Sache zurückzugewinnen. So tun, als ob alles jemand anderem passiert. Einem Freund, dem man in jeder Situation beratend zur Seite stehen würde – also jetzt auch objektiv mir selbst. Oder der Hauptfigur in einem Roman oder einem Film, mit der man zwar mitfiebert, aber genau zu wissen scheint, wie die Person sich richtig entscheiden und verhalten muss! Weil die Situation, auf die man ganz unbeteiligt draufblickt, vollkommen logisch und einfach lösbar erscheint.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen